Magazin KLASSIK heute
Celibidache Edition - Deutsche Gammophon
Mussorgsky: Bilder einer Ausstellung
Strawinsky: Der Kuss der Fee, Der Feuervogel -
Suite
Rimsky-Korssakoff: Scheherazade op. 35
Prokofieff: Ala et Lolly op. 20 (Skythische Suite),
Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100, Romeo und Julia (Auszüge.)
SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Sergiu Celibidache.
DG 445 139-2
Von „Highlights" in Celibidaches Repertoire zu sprechen, ist müßig,
konnte doch bei günstigen Bedingungen jedes Werk unter seinen Händen
zu einem unerhörten Ereignis werden. Ebenso unsinnig ist es,
Celibidache als Spezialisten (etwa aufgrund seiner letzten Münchner
Jahre für Bruckner) abzustempeln oder ihm eine besondere Affinität
zu irgendeinem Stil nachzusagen, denn er wusste in jeder Musik das
Spezifische aufzuspüren. Die dem russischen Repertoire gewidmete
zweite Folge der DG Celibidache Edition bündelt einige der
effektvollsten Paradestücke der Orchesterliteratur, und der
verblüffte Hörer kann erfahren, wie diese vielstrapazierten Werke
jenseits ihres Show-Charakters ungeahnten Reichtum entfalten. Wann
besaß der sonst nur plump dröhnende Sultan aus Scheherazade je solch
lauernde Bedrohlichkeit wie hier? Wann nahm uns je die Promenade so
umsichtig und doch zielstrebig mit auf den Gang durch die Bilder
einer Ausstellung, die hier nicht in effektvolle Einzelnummern
zerfallen, sondern sich zu einem grandiosen Gesamtbild fügen? Wann
umgab ein solch geheimnisvoller Zauber je den Feuervogel, der nur zu
oft durch mezzoforte und Metronom seiner Magie beraubt wird?
Celibidache blieb den Partituren nichts an orchestraler Bravour
schuldig, aber er ließ diese nie zum Selbstzweck verkommen. Jedes
Element hatte seinen Platz im sinfonischen Kontext und konnte so in
einmaliger Weise seine Wirkung ausüben.
Mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart hatte sich Celibidache einen
Klangkörper geschaffen, der - anders als die Münchner, die durchaus
ihr philharmonisches Eigenleben mit allen Vor- und Nachteilen
kultivierten - absolut unter seiner Kontrolle stand. Die se
Situation, die höchst pro filierte Einzelleistungen keineswegs
ausschloss (was diese Box nachdrücklich vermittelt!), ermöglichte
Celibidache die kompromisslose Umsetzung seiner Vorstellungen und
verlieh den Konzerten jene außergewöhnliche Spannung, die sich in
den Aufnahmen ungeschmälert mitteilt. Wir finden in den Mitschnitten
aus den 1970er Jahren den auf strukturelle Klarheit zielenden
Phänomenologen der späten Zeit ebenso wie den durch Eleganz und
Temperament faszinierenden Feuerkopf der frühen Jahre - darin liegt
die einzigartige Bedeutung der Stuttgarter Aufnahmen. Zwischen
diesen Polen wird Prokofieffs Fünfte zu einem atemberaubenden
Balanceakt und Strawinskys Kuss der Fee zu einem Kabinettstück,
sprühend von Witz und Raffinement.
Klanglich ist die neue Folge natürlicher und brillanter geraten als die
Brahms-Box. Das die DG aus den Fehlern der EMI gelernt hat und uns
den Applaus vorher wie nachher erspart, sei ihr gedankt. So mag nach
dieser Veröffentlichung mancher Schallplattenfreund seine Sammlung
durchforsten und mit Verwunderung feststellen, wie wenig im
Vergleich dazu Bestand hat. Macht nichts - wenn die DG ihre Edition
im angekündigten Umfang fortsetzt.
Peter T. Köster
Klassik heute 8/99
Strauss: Don Juan op.
20, Tod und Verklärung op. 24, Ein Heldenleben op. 40
Respighi: Pini di Roma;
SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Sergiu Celibidache.
DG 453 190-2
Eine der wichtigsten Veröffentlichungen zum Strauss - Gedenkjahr.
Da, wo allzuviele Dirigenten sich einzig auf den Effekt der
weitgehend idiotensicheren (weil risikoscheuen) Instrumentation
verlassen, entdeckte Celibidache bei Strauss ungeahnte Feinheiten
und lenkte den Blick auf Qualitäten, die selten Beachtung finden,
aber letztlich den Wert der Strauss'schen Tondichtungen ausmachen:
Ein profundes Wissen um das Spiel der engagierten Kräfte und die
Gesetzmäßigkeit ihrer Auflösung, also eine Beherrschung der Form,
wie sie etwa Mahler nicht gegeben war. Wenn Furtwängler (wie in dem
äußerst lesenswerten Begleittext zitiert) bei Strauss ein
Auseinanderdriften von Technik und Erlebnis bemängelte, hat
Celibidache in seinen Aufführungen geradezu den Gegenbeweis
angetreten. Das Gefühl des „gekonnt Gemachten" stellt sich hier
nicht ein, man spürt eine Identifizierung mit den zugrunde liegenden
Affekten und ihrem klingenden Aus druck, die den Hörer
unwiderstehlich in den Erlebnisprozess einbezieht. Der Celibidache
der Stuttgarter Jahre blieb Strauss nichts schuldig - wir finden die
virilen Attacken, die entrückten lyrischen Passagen, die hymnischen
Aufschwünge und die dramatischen Zuspitzungen in seltener
Ausprägung. Das Wunder von Celibidaches Wiedergabe lag darin, dass
er trotz der extremen Gegensätze die Kontinuität zu wahren wusste.
Statt einer Reihung effektvoller Momente erleben wir einen
Entwicklungsprozess, der sich von der ersten bis zur letzten Note
organisch vollzieht. Selbst problematische Strecken im Heldenleben
(wie die überfrachtete Schlachtenszene oder die Zitatsammlung der
Friedenswerke) erscheinen mit bis dahin ungekannter Durchhörbarkeit
und eingebunden in die Gesamtentwicklung. Eine kleine Ahnung davon,
wie Celibidache dies bewerkstelligte, vermittelt die Bonus CD mit
Probenausschnitten, die einige Grundgedanken von Celibidaches
Musikanschauung enthält und seine unverwechselbare Sprache ebenso
dokumentiert wie seinen nie erlahmenden Enthusiasmus bei der
Verdeutlichung musikalischer Zusammenhänge. Allein der Exkurs über
das Phänomen der Wiederholung lohnt den Erwerb der Box. Was die
Tonkonserve naturgemäß nicht vermitteln kann, ist der spektakuläre
Eindruck, den Celibidaches Gestik am Ende der Pini di Roma im
Konzert hervorrief. Das klangliche Resultat ist jedoch nicht minder
überwältigend: Eine schier überwältigende Fülle krönt die
evokatorische Reise durch Respighis Klangkosmos. Geringfügige, durch
das Alter der Aufnahmen und den unretuschierten Live-Charakter
bedingte Klangeinbußen erscheinen angesichts der singulären
musikalischen Bedeutung unerheblich. Heute erhält man trotz
Dolby-Surround-Technik diese Tondichtungen nirgends annähernd so
fesselnd dar geboten, wie in diesen etwa zwanzig Jahre alten
Konzertmitschnitten!
Peter T. Köster
Klassik heute 12/99