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Radio Sinfonie Orchester Stuttgart



Romantische Klarheit


Sergiu Celibidache und das Südfunk - Sinfonieorchester in der Stuttgarter Liederhalle
Auszug aus einem Artikel von Horst Kögler in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 26. 10.1978.

 

Jetzt, da er zurückgekehrt ist   auf Zeit zunächst, aber mit dem Versprechen, im nächsten Jahr wiederzukommen  , wissen wir erst, was dem Stuttgarter Konzertleben bei all seiner erstaunlichen Vielfalt des Angebots in der letzten Saison gefehlt hat: die Hoffnung auf, die Erwartung eines ganz und gar außergewöhnlichen Ereignisses. Die bloße Ankündigung eines Celibidache-Konzerts genügt, die Stuttgarter in einen Zustand zu versetzen, der am besten mit erhöhter Temperatur zu umschreiben wäre. Am Abend selbst dann begegnet man in der Liederhalle vielen Leuten, die sich nicht im Traum einfallen lassen würden, etwa zu einem Konzert mit Karajan und den Berliner Philharmonikern zu gehen, die man eher bei Ausstellungseröffnungen, Schauspielpremieren oder Dichterlesungen trifft. Celibidache-Konzerte in Stuttgart haben eine eigene Atmosphäre, knisternde Spannung, wie sie kaum ein anderer Name in dieser Stadt zu bewirken vermag.

Auch das Radio-Sinfonieorchester scheint an solchen Abenden   nicht gerade wie ausgewechselt, wohl aber so hell wach und reaktionsscharf, so ohne jegliche Routinemüdigkeit, so mit gespitzten Ohren auf den Kollegen am Nachbarpult hörend und so aufgeladen mit schierer Musizierlust, dass man spürt: hier entdecken Orchestermusiker wieder, warum sie eigentlich Musiker geworden sind. Und dass Celibidache ihrem mehr oder minder verkappten solistischen Ehrgeiz gleich dreifach entgegenkommt, indem er einmal Werke aus wählt, die für ihr Instrument dankbare Sonderaufgaben bereithalten, dass er dann mit ihnen an jeder Phrasierung arbeitet als handelte es sich um ein Solokonzert, und dass er sie am Schluss auch noch ihren Beifallsanteil einzeln oder als Instrumentengruppe quittieren lässt, tut ihrer Eitelkeit natürlich auch nicht gerade weh.

Aber vielleicht hat ja auch Celibidache selbst von dem Stuttgarter Pausenjahr profitiert, ist auch ihm zu Bewusstsein gekommen, dass es vielleicht zur Abwechslung mal ganz reizvoll ist provozierende Interviews zu geben, sich dem Dirigentennachwuchs zu widmen und sich im übrigen auf ein einziges Konzert in London und viel leicht noch ein zweites und drittes da und dort zu beschränken   dass aber das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart inzwischen so sehr Teil seiner selbst geworden ist, dass er es braucht, um sich als Dirigent maxi mal verwirklichen zu können.

Dass es bei seiner Wiedergabe von Schumanns Zweiter Sinfonie "in C-dur sehr gepaukt und trompetet" hätte, wird niemand behaupten wollen. Celibidache nimmt das Fanfarenmotiv ganz ruhig und gedämpft, ohne jegliche schicksalshafte Drohgebärde, und lässt es auch später immer wieder so, ganz fern, aufklingen   ein Gruß an den deutschen Schumann über den Rhein hin weg, ganz aus der Geisteswelt seines neunundneunzigprozentigen französischen Namensvetters mit nur einem Schluss -n. Von feinster filigraner Durchsichtigkeit sodann der Elfenspuk des Scherzos, Mendelssohn war der Dirigent der Leipziger Uraufführung!), aber auch den kontrapunktischen Verflechtungen des Adagios ist alle deutsche Schwerflüssigkeit entzogen, ohne dass es dadurch jedoch seinen Expressivo   Charakter verlöre. Ein sehr französischer Schumann insgesamt! Noch direkter französisch wurde es dann bei Ravels "Tombeau de Couperin", dessen vier Sätze Celibidache wie eine Folge preziöser Instrumentalminiaturen à la manière antique modelliert   mit Lajos Lencsés als Solo-Oboisten, der seine cembaloartigen Sechzehntelfiguren so ruhig und klar perlen lässt, als verfügte er über einen end losen Atem. Fabelhaft sodann die Elastizität der Pizzicato - Celli als Sprungbrett für die Forlane, aber auch die subtile Farbverteilung im abschließenden Rigaudon. Und geradezu atemberaubend zu verfolgen, wie Celibidache die Schlussfloskeln förmlich in die Luft sprüht.

Ging es bei Schumann und Ravel an diesem Abend fast kammermusikalisch zu, so Celibidache mit Strawinskys "Feuervogel"  Suite dafür, dass doch auch die Freunde des üppigen Wohlklangs, des großorchestralen Alfresco auf ihre Kosten kamen   wobei die Suitenfassung von 1919 mit ihrer Bläserreduzierung verhinderte, dass der Klangluxus je ins plüschig Orgiastische ausartete. Ungewöhnlich schon gleich die Phrasierungsakzente der tiefen Streicher in der Einleitung. Und hat man schon je ein ähnliches Fluoreszieren der hellen, flirrenden, schwirrenden und sirrenden Farbtöne gehört wie beim Auftauchen des Feuervogels? Keineswegs die übliche lärmende Schlagzeugorgie im Höllen tanz Kastscheis, sondern ein einziger infernalischer Spuk klappernden Totengebeins (wobei sich der sonst so zurückhaltende Celibidache in eine regelrechte Baba-Jaga am Dirigentenpult zu verwandeln schien). Und dann die dunkel - trauliche Besänftigung durch die unendlich ruhig dahinfließende Berceuse und die feierliche, immer magischere Steigerung des Volkslied-Finales, diese imposante Blechbläser-Prozession über schimmerndem Streichergrund: kein Wunder, dass der Beifall danach tosende Formen annahm, dass das Publikum Celibidache am liebsten gleich für den Rest der Konzertsaison dabehalten hätte.

Horst Koegler