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Münchner Krach



Eiertanz um eine Mimose

 

Spiegel-Redakteur Klaus Umbach über den Münchner Krach um den Dirigenten Sergiu Celibidache


Brustkorb und Schultern schaukeln im Rhythmus. Verzückt wippt die Hüfte mit, manchmal wiegt sich auch noch der Kopf genüsslich im Takt. Auf seine Gesichtszüge, die inzwischen dem greisen Abbe Franz Liszt verblüffend ähneln, hat der Traumtänzer einen Reigen seliger Geister choreographiert. Vom eigenen Können berauscht, lächelt er geschlossenen Auges in sich hinein und dort den vermeintlich bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart an.

Derweil dreht die linke Hand kapriziös Pirouetten in die Luft, und die rechte, eben noch herrisch verkrampft, öffnet sich so anmutig, wie eine Tulpe im Zeitraffer erblüht. Wenn Sergiu Celibidache dirigiert, trägt er sich selbst auf Händen. Doch plötzlich, vielleicht weil ein Horn gekiekst oder ein Cello geschrappt hat, fällt der Kunstpriester aus seiner entrückten Rolle. Dann fahren die Hände ein Donnerwetter dazwischen, der rechte Zeigefinger reckt sich zum Pranger, der schlanke Körper versteinert, aus den Augen sprühen Gift und Galle. Unberechenbar, dieser Mann.

Mit all den Faxen eines gebenedeiten Schöngeistes spielt Sergiu Celibidache, 72, am Pult genau das Theater, an dem sich das Wunschkonzert-Publikum nicht satt sehen kann - Diva, Macho, Mimose, Entertainer, beleidigte und beleidigende Leberwurst, alles in einem.

Er verlangt mehr Proben als fast jeder seiner Kollegen, wenigstens zehn, meist 18, und liegt so mit der verwalteten Kultur ständig im Clinch. Wenn ihn der Teufel reitet, exerziert er mit den Musikern eine halbe Stunde lang immer dieselben acht Takte. Aber wenn ihm ein einzelner Instrumentalist mal besonders wohlgefällig in den Ohren gelegen hat, schlägt er das verblüffte Sonntagskind öffentlich zum Ritter. Am Ende eines jeden Konzerts lässt er die Orchestermitglieder, die sich hervorgetan haben, vor dem Auditorium wie Musterschüler aufstehen. Unberechenbar, dieser Mann.

Er hält Oper für eine "unsaubere Sache" und hat seit Jahrzehnten kein Opernhaus mehr betreten. Er lehnt es starrköpfig ab, Schallplatten zu produzieren, weil sich Musik, "dieses hehre Mysterium", nicht wie ein Pfannkuchen plattpressen lasse. In der Lust und Kunst, Musik als Komposition von Farben, Nuancen und Schattierungen wiederzugeben, steht Celibidache Karajan nicht nach, und mit Bernstein teilt er nicht nur die Virtuosität eines Showmasters, sondern auch die ungekünstelte Inbrunst eines Hohenpriesters. Aber er hat sich zeitlebens weder an einem multimedialen Großhandel a la Karajan bereichert noch wie Lennie Bernstein aus dem philharmonischen Glamour Kapital geschlagen. Celibidache, Tsche-li-bi-daa-ke gesprochen und "Celi" genannt, ist sich als großer Verweigerer der Vermarktung und damit dem skurrilen Umstand treu geblieben, unter den namhaftesten Dirigenten der unbekannteste zu sein.

Seit 1979 leitet Celibidache die Münchner Philharmoniker, mit (1985) 130 Planstellen und 25,7 Millionen Mark Etat ein Luxusgeschöpf der Stadt. Damals hatte ihn der Orchesterdirektor Franz Xaver Ohnesorg so geduldig hofiert, für Frau Gemahlin, Malerin Joana Rom, eine Ausstellung arrangiert und dem Sohn Serge gar einen 1800 Mark teuren, von der Stadt bezahlten Flipper aufgestellt, dass Celibidache, der Fels des Anstoßes, weich wurde und sich zum Generalmusikdirektor küren ließ. Seitdem hat er den einst mittelmäßigen Klangkörper auf Vordermann gebracht und trägt mit Recht und Stolz den Ehrenring des Orchesters. Doch gegen Sommerschluß zog aus heiterem Himmel ein Sturmtief auf. Celibidache und die Kommunalpolitiker gerieten sich in die Haare, alles Fair play wurde abgeblasen.

Celibidache leidet seit Jahren an Gicht. Erst machten ihm nur die Beine zu schaffen, jetzt kriecht das Übel weiter. Die Programme 1984/85, eine Deutschland-Tournee und ein Gastspiel in der Schweiz waren schon längst festgelegt, als der Dirigent, seit Anfang Juni bettlägerig, im September alle Termine absagte. Damit begann in Bayerns Metropole ein hinterfotziger Eiertanz.

Während Celibidache, strikter Anti-Alkoholiker, Fastvegetarier und Verächter aller Schulmedizin, sein Leiden mit Säften, Kräutern und dem massenweisen Verzehr von Soja-Würsten zu lindern versuchte und sich aus seinem Pariser Appartement erst ins bayrische Griesbach und dann in die hannoversche Paracelsus-Klinik schleppte, antichambrierten die Offiziellen, an der Spitze Münchens Kulturreferent Jürgen Kolbe und der Orchesterdirektor Hubertus Franzen, bei prominenten Nothelfern. Schließlich musste für den Ernstfall vorgesorgt werden.

Über alle Dispositionen, behauptete Orchestervorstands-Sprecher Deinhart Goritzki, sei Celibidache informiert worden: "Als wir ihn in Paris besucht haben, sagte er: ''Tut so, als ob ich im Moment nicht da wäre. Trefft Entscheidungen zum Wohle des Orchesters!''"

Entscheidungsfroh reisten Kolbe und Franzen zu Lorin Maazel nach Wien, um ihm die Schweiz-Tournee und das für 1985 geplante US-Gastspiel anzubieten. Kolbe: "Wir haben die Freiheit in Dirigentenfragen erlangt." Maazel sagte zu, Celibidache erfuhr davon aus der Zeitung und schnappte ein. "Alle Entscheidungen", polterte er in einem Telefonat mit der Münchner "Abendzeitung", seien "über meinen Kopf hinweg" getroffen worden, "alle Dirigenten" habe man "festgelegt", ohne ihn zu fragen. Schließlich der Bannstrahl gegen die Stadt, die er zu einem "musikalischen Weltzentrum" hatte machen wollen: "Ich bin nicht mehr da", "leider Gottes ist unsere schöne Arbeit zum Teufel", "sie haben mich begraben oder so was". Panik im Rathaus. Kolbe schickte einen Brief mit allen Planungsdetails los, Oberbürgermeister Georg Kronawitter bat gleich zweimal um ein geneigtes Ohr. Als sich Celibidache scheinbar nicht rührte, sandte die Stadt ein Ultimatum hinterher: Bis Montag letzter Woche habe sich der Maestro gefälligst zu äußern. Man legte also die Axt an einer Mimose an.

Da kam, o Wunder, plötzlich ein Brief zum Vorschein, den Celibidache bereits am 8. Oktober ins Münchner Rathaus geschickt hatte und der die Wende verhieß: "Mit all meinen Kräften und ohne Einschränkung", so der scheinbar Gewandelte, stehe er weiter "im Dienst der Stadt". Für ihn gebe es "zur Zeit keine Alternative zu München, und ich möchte Ihnen - so unverschämt das klingt - sagen, dass es für München keine Alternative zu Celibidache gibt".

Er war also wieder der Alte, was bedeutet: Verlaß ist wohl nur auf neues Ungemach. Dass Celibidache in München glänzend verdient, weil er für jedes Konzert 22 000 Mark (demnächst 25 000) und damit nebst Radio- und TV-Tantiemen rund 1,3 Millionen Mark im Jahr einsteckt, mag ihn versöhnlich stimmen. Aber er hat sich andererseits schon immer den Luxus geleistet, seine Launen wichtiger zu nehmen als sein Inkasso. Er trägt halt immer noch an einer Enttäuschung von vor dreißig Jahren, die ihn so bis ins Mark verbittert und verbiestert hat, dass er seine Unberechenbarkeit als kalte Rache mit kultischer Genugtuung sieht - koste sie, was sie wolle.

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich Wilhelm Furtwängler in Berlin mit den Entnazifizieren herumschlug, übernahm der Exil-Rumäne als Newcomer das Berliner Philharmonische Orchester. Ohne Scheu drillte er den längst weltberühmten Klangkörper auf Höchstform, und die Berliner Konzertgänger hatten bald an dem schwarzhaarigen, extravaganten Feuerkopf einen Narren gefressen.

Als Furtwängler wieder ans Pult durfte, trat Celibidache unaufgefordert ins zweite Glied zurück, doch als Furtwängler 1954 starb, rechnete er sich gute Chancen als Thronfolger aus. Aber das Orchester wählte nicht den unbequemen Zuchtmeister zum neuen Chef, sondern den geschmeidigeren Herbert von Karajan. Celibidache schied schmollend - aus Berlin und aus dem Musikbetrieb.

Er dirigierte nun in Rom, Mittel- und Südamerika, gastierte mal bei der Königlichen Kapelle Kopenhagen und dem Philharmonischen Staatsorchester Bremen, band sich sogar für einige Zeit an die Radio-Symphoniker in Stockholm und Stuttgart. Aber die läufige, landläufige Kultur-Touristik mied er weiter wie die Pest, und für sein von der Presse hochgelobtes US-Debüt in diesem Frühjahr in der New Yorker Carnegie Hall begnügte er sich mit dem Studentenorchester des Curtis Institute of Music in Philadelphia.

In der Rolle eines imperialen Aussteigers gefällt sich Celibidache inzwischen so gut, dass er den Mund immer dann besonders voll nimmt, wenn er die Potentaten seiner Zunft zu Nullen runtermachen will. Den Unflat, den er auf seinesgleichen kübelt, verbreiten die Feuilletons seit Jahren als Leckerbissen: Karajan? "Schrecklich. Entweder ist er ein guter Geschäftsmann, oder er kann nicht hören." Aber weltbekannt. "Das ist Coca-Cola auch." Toscanini? "Ein armseliger Musiker." Riccardo Muti? "Ein Ignorant wie Toscanini." Wolfgang Sawallisch? "Ein Langstreckenspezialist in Mezzoforte." Bernstein, Mehta? "In meiner Welt kommen sie nicht vor."

Und weil''s so schön war, auch gleich noch ein paar Tritte vors Standbein der Schreiberlinge. "Wir haben keine Fachpresse, nur totes Holz", das sind bloß "Flaschen, die herumlaufen", mit "Sauerkrautohren": "Diese Leute, die täglich alles vergiften, sollten über Gynäkologie schreiben, auf dem Gebiet hat doch jeder ein bisschen Erfahrung."

In den nächsten Tagen will sich Celibidache zu einem Gespräch in München herablassen und "entsprechende Vorschläge" machen. Vielleicht fordert er den Kopf des Orchesterdirektors Franzen, einen Kniefall von Kolbe, Abbitte von Kronawitter, eine kleine Gehaltserhöhung und die Kündigung aller Verträge der Stadt mit den ungeliebten und sowieso unfähigen Kollegen. Vielleicht lässt er auch Gnade walten und erkiest München, diese "kranke Stadt", neuerlich zum Hort der Weltmusik, weil er dieser Stadt die Ehre gibt. Vielleicht hat er aber auch ganz andere Pfeile im Köcher. Wer sich mit Celibidache einlässt, muss auf alles gefasst sein. Unberechenbar, dieser Mann.