Der Taschengarten
Sergiu
Celibidache
Der Taschengarten
Text
Pocket
Garden - Jardin de Poche - Jardin de bolsillo
Vorwort
Es gibt leider viele Kinder, die keinen Garten haben. Aber sicher haben sie alle eine Schublade zuhause. Wir Kinder, die wir nicht so viel geweint haben, haben für die anderen in diesen schwarzen Rillen ein paar wahre, lustige neue und natürlich winzig kleine Geschichten versteckt.
Dieser runde Teller könnte euch eines schönen Tages, wenn ihr ihn immer in die gleiche Richtung drehen lasst, etwas finden lassen, was die Erwachsenen in ihrem Garten vergeblich gesucht haben.
Das alles kocht er mit Pünktchen, Bläschen, Noten, Kleckschen, Strichchen, Pausen, mit Lachen, mit Seufzen und vielen anderen kleinen Lauten, die man ernsten Instrumenten entlocken kann, um die Bilder, die in euren Herzen wohnen, zum Leben zu bringen. Ist das Musik? Jedenfalls nicht die, wie sie die Großen machen. Flink und schnell, hält sie trotzdem nichts von Fingersätzen, auch muss sie nicht laut sein, um zu wissen, ob sie richtig ist.
Aus Lächeln und Sonnenschein gemacht, kümmert sie sich nicht um morgen und würde frieren - selbst in der besten Gesellschaft - wenn man sie zwischen die Seiten eines Kataloges presste.
Wenn ihr's nicht weitersagt: In jedem Stück dieser Platte steckt eine verbotene Frucht, grün und sauer wie die vom Obstgarten des Nachbarn, die euch so gut schmecken und die die Ahnungslosen reifen lassen. Überlasst den Großen die Sorge, herauszufinden, was nicht schön ist an dem, was wir schön finden.
Texte
I. Kinder kommt
rein!
Schnell, schnell - alles geht sehr
schnell. Wir haben es eilig. Wir wollen nicht einer
nach dem anderen reinkommen; alle auf einmal durchzugehen,
vor allem, wenn die Tür eng ist, ist viel schöner.
Gewiss bleibt niemand bei dieser Geschwindigkeit
draußen.
II. Meister Wind
lässt Tulpen singen
Hier sind Blumen, die
so schön sind und auch so schön singen wie die anderen,
auch wenn sie keine lateinischen Namen haben. Was
den Wind angeht: Da haben wir nichts Besonderes
gefunden; es ist ein Wind wie jeder andere.
III. Enterichs
Predigt
Es gibt Wahrheiten, die viel gewinnen,
wenn sie gesungen werden, besonders mit einer solchen
wahren Stimme: Es ist eine große Sache, dass man
nicht unwichtig bleibt, denn das Unwichtigbleiben
ist keine große Sache.
IV. Ahornsamen
schwirren Rätsel
Habt ihr's erraten? Selbst
wenn es nicht richtig ist, seid ihr nicht weit weg.
V. Kein Himmelsruf
mehr noch der alten Tanne
Der Himmel, Traum
aller Tannen, ist zu weit weg für unsere Tanne.
Sie ist so alt, dass sie seinen Ruf nicht mehr hört.
Ihr
Drang nach oben vergeht. Ihr grünes Kleid wird schwarz,
ihre Nadeln fallen herunter.
Wie traurig ist
es, alt zu werden hier unten!
VI. Käfertanz
Tanze,
tanze Käferlein,
leuchtend grün und winzig klein,
ein Schritt vor und zwei zurück, dreh mal dich,
nach vorne bück, tanze, tanze Käferlein,
bald
bist du nicht mehr allein, denn wir tanzen mit jeden
Schritt.
VII. Fisches Nachtgesang
"Man
singt selbst in der Nacht!"
"Wer ist
es?"
"Es ist ein Frosch."
"Was
du nicht sagst!"
"Ein Krabbentier?"
"Warum
nicht zwei?"
"Wer ist es dann?"
"Wenn's
nicht 'ne Kröte ist, dann ist es halt ein Fisch."
"Ein
- Fisch, - der - singt - bei - Nacht?"
"Er
singt nur in der Nacht, am Tage spielt er stumm!"
VIII. Besenhengst
im wilden Ritt
Lucky Luke, der berühmte Cowboy,
der sonst auf seinem Pferd "Jolly Jumper"
reitet, gab uns die Ehre, heute einem wilden Galopp
zuzuschauen. Dabei ritt er auf dem besten Besen
unseres Stalles, dem schnellsten Vollblüter, den
Arabien je hervorgebracht hat!
IX. Mein Igel,
wo bist du?
Mein Gott, welch ein Unglück!
Kipick ist verschwunden! Lass mich in Ruhe! Kipick,
wo bist du? Hörst du mich weinen? Nein, ich will
nichts anderes. Was könnt ihr schon verstehen! Ihr
seid nie so klein gewesen wie ich. Mein Herz hat
mich verlassen. Ein Schluchzen, größer als meine
Brust, schlägt an seiner Stelle. Mein Schmerz ist
so groß wie meine Liebe. Man kann sie nicht ersetzen.
Wenn Großwerden heißen soll, neue Freuden zu finden,
wie Ihr sagt, dann will ich gerne klein bleiben,
so klein und dumm wie Kipick. Mit ihm ist meine
ganze Weit, die einzige, die ich gekannt, die einzige
die ich geliebt haben, verschwunden.
X. Grünes Gebet
Vater
unser, der Du bist im Himmel:
Was könnte ich
Dir sagen, was Du nicht weißt! Wenn Du mir noch
einmal verzeihst. dass ich zu Dir bete, um Dich
um etwas zu bitten: Sag ihm schnell, dass ich ihm
auch verzeihe. Er soll keine Angst haben zurückzukommen.
Ich verspreche Dir, ihn niemals wieder allein zu
lassen, und wenn der Gott der Igel es erlaubt, dann
werde ich ihm sogar die Gebete, die ich vergessen
habe, beibringen. Lass mich über ihn wachen, so
wie Du über mich wachst! Danke!
XI. Dankgeschnatter. Aus einem Igel wurden zwei.
Seht nur! Ein Wunder!
Das
kann nicht sein! Da ist Kipick!
Das ist unmöglich!
Doch,
doch, er ist es!
Was für eine Aufregung!
Aber
aufgepasst - er ist ja nicht allein.
Bonjour,
Madame!
Die Blätter flüstern: "Das ist Kipick.
Grüß Gott ihr zwei!" "Sticht sie denn
auch?", fragen die Rosen und zünden ihre Lichter
an. Die Blumen glühen rot, das Feuer sprüht, die
Steine tanzen, der Staub muss husten, die Tränen
glänzen, die Locken brennen. Das Fest geht in die
Luft! Welch' eine Freude! Was für ein Sturm aus
rosa Schnee! Wie lieb bist Du, mein lieber Gott!
Bist Du denn alt?
XII. Es regnet
in die Gießkanne
Da der Regen das Fest des
Gartens ist, haben wir einen besonders schönen für
heute bestellt. Die kleinen hüpfenden Tropfen laden
alle zum Reigen ein. Es regnet, es gießt, es fließt.
Es ist voll, überall schlürft es. Der Regen breitet
seinen kühlen Mantel über alles aus.
Die feinen
weichen Regenfäden machen alles nass: Neugierige
Füße, zu lange Hosen, alle stolzen Schnurrbärte
und allerhand andere staubige Sachen, die in einem
durstigen Garten weilen können.
Und auf einmal
erhebt sich aus einer Pfütze die Gießkanne.
Da
sie selbst ein Regenmacher ist, will sie nichts
mit einer solch' lieblosen Dusche zu tun haben.
Sie
reitet auf Wellen, schreit, schimpft und zischt
vor Verachtung.
Aber nicht für lange, eine dicke
Welle zeigt ihr mit dem weißen Handschuh den Weg
zum Mutter-Tal, wo alle Spiele des Wassers enden.
XIII. Das ist
alles
Das wär's, Kinder!
Passt auf, dass
die Schublade trocken ist, wenn ihr sie schließt.
Lasst
uns rausgehen, so schnell wie wir gekommen sind
durch dieselbe Tür, wenn sie noch da ist.