Celibidache Festival 2002


 

 Stiftung 



1. Sergiu Celibidache Festival

eine Hommage an Sergiu Celibidache zum 90. Geburtstag
7. bis 20. Oktober 2002
Prinzregententheater München

 

Textbeiträge aus dem Festival Programm

 

..... über Celibidache

Als stände er hinter mir - Zubin Metha

Gestalt gewordener Wille - Hans Zender

Ioana Celebidachi

 

Ida Haendel über Sergiu Celibidache


I had the good fortune and great honour to perform many sublime concerts under the baton of Sergiu Celibidache. It is impossible to define genius, but Celibidache was that rare phenomenon who represented an intellect of the highest order combined with an amazing technical conducting skill to match.

His great contribution to music was that he carved a path into hitherto unknown musical territory, a revelation of unique quality and experience. Celibidache was capable in a magical way to interpret and incorporit, the mystery of life into the eternal enigma of music.

We should be forever grateful for this cultural education from a man whose presence on this planet was a gift to all musicians, young and old. The impact which Celibidache made is boundless,   an inspiration and legacy to be cherished for posterity.


Alexandre Myrat über Sergiu Celibidache


Es war 1974, als ich, während einer Probe mit dem Orchestre Philharmonique im Studio 104 in Paris, mit einem Dirigenten zusammenstieß, der in einem Studio neben uns mit dem Orches tre National de France probte. Ich war überrascht. Alles was ich wusste, wurde von der Präsenz, der Praktik, der Methode dieses Mannes in Frage gestellt. Wer ist das? fragte ich. Sergiu Celibidache. Ich wollte ihn verstehen. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich dazu noch nicht fähig. Es war auf eine gewisse Weise noch zu früh. Mit 24 Jahren, die Aktivität als Dirigent mit Erfolg begonnen, sah ich mich abermals auf den schwierigen Platz eines Schülers verwiesen.

Ich musste ein Jahrzehnt warten, um den Weg in die Richtung dieses Mannes zwingend ein zuschlagen. In keinem meiner Lebensläufe ist bis heute nur vermerkt, dass ich ein Schüler von S.C. war, da dies in gewisser Weise nicht richtig wäre. Denn er ist es, der mein Leben voll ständig verändert hat. Ab den 80er Jahren habe ich bei seinen Proben zugehört. Am Anfang verstand ich nichts. Ich tauchte wieder in die Gefühle der 70er Jahre ein. Stück für Stück über wand ich diese Panik. Ich stellte alle Aktivitäten ein, bis ich wieder etwas verstand. Als meine Ohren und mein Bewusstsein eine neue Orientierung gefunden hatten, fühlte ich mich bereit, meine Erfahrung zu machen. Die Seminare über Phänomenologie in Mainz spielten eine wichtige Rolle. Alles was ich euch sage, alles was ich euch lehre, gehört nicht mir. Ich bin nur ein Medium. Oft haben wir gehört, wie er darauf bestand. Er war der Weg. Er war die Stimme. Es gibt keinen Zweifel daran, dass es schwierig ist, mit jemanden darüber zu sprechen, der nicht in seinem Fahrwasser gelebt, experimentiert und gewandelt hat. Er ist für mich ein Stern, der hoch und hell strahlt, der immer meinen Weg bewacht. Ich bin ihm wirklich dankbar.


Natalia Gutman über Sergiu Celibidache


Für mich ist es sehr schwer, etwas über einen so genialen Menschen wie Sergiu Celibidache zu sagen. Er war für mich eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die ich das Glück hatte, kennen lernen zu dürfen. Die Welt ist viel ärmer geworden, seitdem er nicht mehr bei uns ist.  Der Platz, den er in den Herzen und Seelen vieler Menschen   wohlgemerkt nicht nur Musiker   innehatte, wird für immer frei bleiben, weil Sergiu Celibidache unersetzlich ist. Ich erinnere mich an jedes unserer Treffen, an jedes Konzert   gehört oder sogar mit ihm gespielt   und fühle tiefe Liebe, Dankbarkeit und Begeisterung für diesen Menschen, die auch mit den Jahren unvermindert andauern wird.


Markus Henschel über Sergiu Celibidache


Das Verhältnis von mir und meinen beiden Geschwistern zu Sergiu Celibidache begann in unserer Kindheit während Celibidaches Stuttgarter Zeit. Unser Vater, damals Solobratschist im SDR-Orchester, bot an, Celibidache   teilweise sogar mit Familie   in unserem Sindelfinger Haus unterzubringen. Damals erlebten wir ihn mehr im privaten Bereich, hatten aber auch die Möglichkeit, den Konzerten mit dem SDR beizuwohnen sowie in einem Jugendorchester in Stuttgart unter seiner Leitung mitzuwirken. Als Celibidache dann nach München ging, verloren wir uns für einige Zeit aus den Augen. Später nahmen wir mehrere Jahre an seinen Vorlesungen in Mainz teil und schließlich auch an seiner ersten Orchesterakademie im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Auch ergab sich durch unseren Umzug nach München dann wieder die Gelegenheit, den Proben und Konzerten mit den Münchner Philharmonikern beizuwohnen.

Unser Cellist Mathias Beyer kam bereits durch seinen Lehrer Hans Erick Deckert mit den Anschauungen von Sergiu Celibidache in Kontakt. Persönlich lernte er ihn dann ebenfalls in Mainz kennen, was seine Auseinandersetzung mit Celibidache selbstverständlich intensivierte. Natürlich hat uns all dies in verschiedenster Weise geprägt und wir sind Sergiu Celibidache sehr dankbar für all diese Erlebnisse, Erfahrungen und Lehrstunden.


Lajos Lencsés über Sergiu Celibidache und Milhaud


Ein Werk für ein Konzert in memoriam Celibidache auszuwählen, ist kein leichtes Unter fangen, wenn man sich seinen Anspruch an die Kompositionen aber auch an sich selbst vor Augen hält. Es sollte das Werk eines Komponisten sein, den Celibidache schätzte und dessen Musik er gern dirigierte. So kam meine Wahl auf Darius Milhaud und dessen Suite choreographique „Jakobs Träume für Oboe und Streicher„. Das fünfsätzige Werk basiert auf Episoden aus dem Alten Testament, deren Mittelpunkt die beiden Träume Jakobs bilden.

Der erste Satz trägt den Titel „Kopfkissen“, welches bei Jakob ein Stein in der Wüste ist, der der Grundstein des Tempels werden soll, den Jakob Gott errichten will. Im ersten Traum sieht Jakob eine Leiter die bis zum Himmel ragt und auf der Engel auf- und ab schweben; als Sinnbild der Verbundenheit von Gott mit der Erde. Der zweite Traum   musikalisch dargestellt durch ein atemberaubendes Fugato   ist ein Kampf zwischen Jakob und dem Engel, dessen Ausgang bis zum Anbruch des Tages ungewiss bleibt. Jakob wacht verletzt auf und erhält den Segen des Engels und seinen neuen Namen: Israel. Ein Orakel, eine in Musik gegossene Prophezeiung, schließt sich an und das Werk klingt aus mit einem jüdischen Hymnus an Gott.

Ohne billige Parallelen ziehen zu wollen, glaube ich, dass Celibidaches Leben und Musizieren ohne seinen Kampf und seinen Glauben an das Transzendentale und Göttliche in der Musik und Im Menschen nicht denkbar gewesen wäre. Möge dieses Werk für ihn erklingen!


Ingolf Turban über Sergiu Celibidache


Sergiu Celibidache als Klangmagier ist in aller Munde und (mehr oder weniger) gut beschrieben worden. Im Rahmen meines damals blutjungen Konzertmeisterdaseins und solistischer Auftritte war es mir vergönnt, auch sein von breiter Öffentlichkeit selten wahrgenommenes Stil les, fürsorgliches, äußerst liebevolles Wesen erlebt zu haben. Seine Ermutigung, ich solle nach zu begrenzender Zeit in seinem Orchester eigene Wege weitergehen, war von geradezu bewegend uneigennütziger Weitsicht. Kein Tag vergeht, an welchem ich nicht der Größe seines Musizierens und Seins dankbarst gedenken würde.


Peter Michael Hamel über Sergiu Celibidache


Aschau, 15./16. August 1996
Wieder eine Nacht fast ohne Schlaf, der vergebliche Anruf in Celis Mühle, dann aus Paris die Gewissheit, dass er gestorben ist. Mein erster Gedanke: was wird mit seinen Kompositionen werden, außer seinem „Taschengarten“ ist nichts aufgeführt worden. Er war ja immer schon Komponist gewesen, hatte in seiner Berliner Zeit bei Heinz Tiessen studiert und damals unzählige zeitgenössische Werke mit den Berliner Philharmonikern und später in Schweden realisiert, nur seine eigenen nicht. Und in München haben, außer mir die beiden Nestoren unter den lebenden Komponisten, Günter Bialas und Harald Genzmer von seinem instrumentatorischen und kompositorischen Kenntnissen profitiert.

Peter Michael Hamel zum Tod Sergiu Celibidaches im Jahrbuch der Münchner Philharmoniker 1996


Anton Garcia Abril über „Celibidachiana“


„Celibidachiana“ ist ein Werk, das dem großen Meister und Freund Sergiu Celibidache gewidmet ist. Aber es handelt sich nicht nur um eine für ihn bestimmte Widmung, sondern ich wollte mich darüber hinaus auf irgendeine Weise dem „celibidachischen“ Verständnis der Musik annähern. Die ästhetisch-technische Haltung von Celibidache gegenüber dem musikalischen Phänomen ist es wert, tiefergehend analysiert zu werden. Celibidache nähert sich der Musik mit einer Philosophie voller Größe und Bescheidenheit. Technische Inspiration und Intuition zeichnen seine große Persönlichkeit als Künstler aus. Er ist sogar in der Lage, selbst den Komponisten des Werkes zu überraschen. Und gerade was sich in der Kunst schwer analysieren und erklären lässt, ist das, was Sergiu Celibidache nach einer wissenschaftlichen und psychologischen Studie In einen zusätzlichen Aspekt jener „Phänomenologie der Musik“ verwandelt, die als eine Konstante seiner Persönlichkeit bezeichnet werden kann.

Diese kurz notierten Gesichtspunkte und viele weitere der menschlichen Natur machen das „Celibidachische“ aus, woher der Titel des Werkes rührt. Diese Gegebenheiten, die völlig mit meinem technisch-ästhetischen Fokus der Musik übereinstimmen, sind auf irgendeine Art und Weise Motivation oder Ausgangspunkt um diese „Elegie für Orchester“ durchzuführen. Einmal, auf einer seiner Reisen nach Madrid, bat er mich, ihm ein Werk für Orchester zu schreiben. Seit damals hatte ich nicht aufgehört über eine Sinfonie mit sehr speziellen Charakteristika nachzudenken: der Wiedererlangung der bedeutenden konstruktiven Elemente der Musik, die vom Orchester ausgehend und sich seiner großen ausdrucksstarken Mittel bedienend das Klanggebäude errichten. „Celibidachiana“ ist meine innige Ehrerbietung an den Freund und Meister.

 

Als stände er hinter mir

Ein Gespräch zwischen Zubin Mehta und Mark Mast


Maestro Mehta, wie würden Sie Ihre persönliche Beziehung zu Maestro Celibidache beschreiben?

Die Sache ist so: Ich habe mit ihm persönlich nicht allzu viele Stunden verbracht. Ich habe immer wieder seine Konzerte in Wien miterlebt und etliche Filme mit ihm gesehen. Wodurch ich allerdings sehr viel von ihm und über ihn erfahren habe, war durch die Dirigate, die ich für ihn übernahm.

Am Ende seines Lebens musste er ja doch recht viele Konzerte absagen und wenn ich dann im letzten Moment eingesprungen bin und an das Pult trat, fand ich ein fertig präpariertes Orchester vor.

Oft habe ich dann die Werke dirigiert, die er sich so sehr zu Herzen genommen hatte   beispielsweise die letzten drei Bruckner-Sinfonien. Und eben durch diese Arbeit   gewisser maßen durch das Orchester   habe ich seinen Geist gespürt. Es war immer ein sehr starker Eindruck. Das erfährt man nicht bei jedem Dirigenten. Ich kann ganz große Dirigenten nennen, deren Orchester ich dirigiert habe, und nicht gespürt habe, dass da irgendein Einfluss von dem Orchester ausgeht. Aber bei den Münchner Philharmonikern, besonders bei den Bruckner-Sinfonien, habe ich das stark gespürt   sehr stark! Ich habe vier, sieben, acht und neun für ihn dirigiert.

Von Anfang an habe ich dem Orchester immer gesagt, ja ich habe es regelrecht gewarnt: „Ich weiß, dass ich Celibidaches Tempi, seinen Atem“   Tempo ist so ein Klischee geworden   „nicht nachmachen kann, das wäre nicht ehrlich. Ich schätze jedoch alles, was Sie polyphonisch und kammermusikalisch von ihm gelernt haben“. Und die Orchestermusiker sagten mir gleich in der Probe: „Nein, nein, machen Sie Ihre Tempi“. Celibidaches Atem, in diesem Lebensabschnitt   sozusagen am Ende seines Lebens   war einfach ein anderer Atem als meiner, der eines relativ jungen Menschen.

Man könnte also sagen, er hat zu Ihnen gesprochen.

Ja, und es war nicht geplant. Nie wurde gesagt, ich mache für Dich die vier Sinfonien, das wäre doch Unsinn. Es ist einfach so gekommen.

Das heißt, in dieser Situation haben Sie sich auch   wenn ich das so sagen darf   ein bisschen als „Medium“ empfunden?

Bei einem der Wiener Konzerte war das ganz ausgeprägt. Ich habe mich so gefühlt, als stände er gerade hinter mir im Saal. Irgendwann einmal, lange vor diesem Konzert, als ich ihn im Spital besuchte, sagte er mir, dass dieses Wiener Konzert ihm sehr viel bedeuten würde, und gerade dieses Konzert musste er absagen. Es war wie eine Art Abschiedskonzert, er hat es nie gesagt, aber ich habe es so gefühlt.

Seit 1999 gibt es die Sergiu Celibidache Stiftung. So stellt sich natürlich die Frage, was kann eine Stiftung, die den Namen Sergiu Celibidache trägt, überhaupt leisten, und was erwarten Sie von dieser Stiftung?

Ich erwarte ganz einfach, dass seine musikalische Denkensart weitergeführt wird, seine Lehrprinzipien und seine Musizierprinzipien. Er hatte eine ganz besondere Linie, eine Richtung, eine Denkensart und was soll die Stiftung anderes machen, als das zu produzieren, und das weiterzugeben. Ja, man könnte auch die neue Musikergeneration anregen, sich mit seinen Dirigentenschülern auseinander zu setzen.

Im Grunde genommen sind die Musiker, mit denen Celibidache gearbeitet hat, ja die Intensivsten Schüler.

Ja, auf jeden Fall! Wenn die Musiker seine Prinzipien verstanden haben, können sie diese weitergeben, es geht von einem zum anderen. Oft liegt aber auch eine Gefahr in der Nachahmung, insbesondere in der oberflächlichen Annahme. Oberflächliche Imitation ist das Gefährlichste überhaupt!

Maestro, es ist eine große Ehre für uns, dass Sie im Rahmen des 1. Sergiu Celibidache Festivals die Münchner Philharmoniker dirigieren. Herzlichen Dank dafür!

Ja, gerne. Ich mache das von ganzem Herzen. Ich habe das Angebot sofort angenommen, weil ich ihn in seinen letzten Jahren sehr geliebt habe und sein Orchester, nach wie vor liebe   auch wenn ich Nachbar geworden bin.

 

Gestalt gewordener Wille.

Zum Tode von Sergiu Celibidache
von Hans Zender


Ich war zu Besuch im Ferienhaus meines Freundes Heinrich Schiff. „Ich habe Video  Aufnahmen von Celi: Bruckner“, sagte Heinrich. „Du musst sie dir ansehen.“   Videos? Von Celi? Das Einzige, das ich bisher bei ihm wirklich ohne jede Einschränkung bewundert hatte, war seine Frontstellung gegen die Nutzung von Musik in den Medien.   Diese Aufzeichnungen seien die einzige Ausnahme von dieser Regel, sagte Heinrich, und mir würde dabei Hören und Sehen vergehen ... Ich hatte Celibidache vor allem in den 60er Jahren erlebt, seine Schlagtechnik aufs Tiefste bewundert, mich aber von seiner manieristischen, etwas eitlen Attitüde eher abgestoßen gefühlt. In der Erinnerung haften wunderbar ausbalancierte Aufführungen impressionistischer Musik, kontrastierend mit Klassiker Interpretationen, die mir in ihrer marionettenhaften Präzision seelenlos erschienen. Außerdem: Er hatte die edelste Pflicht eines Dirigenten immer vernachlässigt   den Dienst an der Musik der eigenen Zeit. Soweit das die 2. Wiener Schule betraf, konnte ich es   in Anbetracht seiner Verhaftung in der französischen Tradition   noch nachvollziehen; aber warum ignorierte er auch Messiaen? Niemand wäre dirigentisch besser für diese schwierige Aufgabe qualifiziert gewesen als er.

Und nun also der alte Meister, im höchsten Stadium seiner Reife. Die Video Aufnahmen vermittelten ein verändertes Bild; sie bannten mich   um es gleich zuzugeben   gegen meinen Willen fast drei volle Tage vor den Fernsehschirm. Die erste Reaktion auf diesen Bruckner war Verblüffung („Das kann doch nicht wahr sein!!“). Bis auf die Hälfte der (üblichen) Werte gedehnte Tempi; Absenz jedes spontanen Ausdrucks, jedes spielerischen Impulses; über lange Zeitstrecken fast konstante Dynamik. Eigentlich hätte das nichts als Langeweile erzeugen dürfen; das Seltsame war, dass genau das Gegenteil der Fall war. Die Zeitdehnung setzte eine neue Qualität des Hörens frei: Man begriff die Brucknersche Makroform direkt über die Ohren und nicht über den Intellekt   und zwar sehr viel besser als bei den üblichen, viel schnelleren Aufführungen. Ein Paradox! Ebenso bewirkte die völlige Stilisierung aller Affekte durch den so entstandenen rituellen, fast liturgischen Aufführungscharakter eine Vertiefung des Hörvorgangs hin zu einer fast kontemplativen Haltung.

So musste ganz von alleine als zweite Reaktion die Frage entstehen: „Wie zum Teufel kriegt der Kerl das hin?“   Diese Art von Perfektion, die nicht mehr die zirkushafte Perfektion des großen Virtuosen, sondern die Perfektion einer völligen Bewusstheit, war, konnte nur   und das war die erste Antwort   durch das bekannte große Maß an Proben erreicht werden, das Celibidache sich, gegen den Widerstand eines ganzen Musikbetriebes, immer zu erobern wusste. Das, was eine gedankenlose, am puren Funktionieren und am kommerziellen Profit orientierte Konzertpraxis als „Spontaneität“, gar „Vitalität“ ausgibt, erscheint, verglichen mit einem solchen Niveau, als reiner Dilettantismus. Natürlich handelt es sich auch gar nicht um Spontaneität   niemand spielt ja vom Blatt oder improvisiert  , sondern um eine fatale Halb-Bewusstheit. Gerade bei sehr brillanten und gut trainierten Orchestern, in deren kollektivem Gedächtnis sich die Erinnerung an viele verschiedene Interpretationen der gleichen Stücke vermischt, kann nur eine exzessive Probenarbeit zu jener magischen Einheit von Dirigent, Orchester und Konzept führen, die durch ihre absolute Bewusstheit die höchste Wirkung hat. Und erst dann   siehe Kleists „Marionettentheater“   kann wie der eine neue „Spontaneität“ entstehen!

Aber die geduldigste Probenarbeit   und Celibidache unterwarf sich dieser Fron bis zuletzt   wird am Ende nichts fruchten, wenn nicht dazu die souveräne Verfügung des Dirigenten über sein eigenes „Instrument“ kommt. Sein Instrument ist der „Schlag“. Die körperliche Gebrechlichkeit, die jene Video-Aufnahmen zeigen, hatte   durch den erzwungenen Verzicht auf alle Äußerlichkeiten   diesen Schlag zu einer Impulsschrift reiner Zweckmäßigkeit reduziert. Das Erstaunliche war, dass dieser Schlag niemals „abstrakt“ wirkte. Er war ganz eindeutig ein Gestalt gewordener Wille; er saß exakt auf dem klingenden Ereignis auf   ganz im Gegensatz etwa zum Taktieren Karajans, das manchmal bis zu einer ganzen Schlaglänge vorauszeichnete. Er produzierte aber nicht jene Härte der Attacke, wie sie sonst für Präzisions-Dirigenten typisch ist, sondern enthielt alle Modulationsfähigkeit im Augenblick des Niederschlags: ein Höchstmaß an Plastizität und Differenziertheit.

Die Betrachtung der künstlerischen Mittel konnte aber letztlich nicht die wichtigste Frage unterdrücken, die nach der Ästhetik. Hier musste ich ein weiteres Paradox akzeptieren: Trotz der extrem individuellen Lesart konnte man nicht von „Subjektivismus“ als Grundhaltung sprechen. Ganz im Gegenteil war hier in aller Konsequenz ein Weg eingeschlagen, der zu so etwas wie „klingender Architektur“ führte. Das (mir immer verhasste) Wort von der Architektur als „gefrorener Musik“ schien hier in seiner Umkehrung bestätigt zu wer den. Die Musik erhält fast Objektcharakter, der Klang wird zum „Zeit-Baustein“ ... Celibidache berührte den einen Pol der Musik, die Form; der andere, entgegengesetzte, wäre die glühende Lava des „Sich-jetzt-in-diesem-Augenblick-Ereignenden“: der Traum aller Romantiker.

In den letzten Jahren konnten die Musikfreunde gerade am Beispiel Bruckners erfahren, wie verschieden ein großer Interpret die Schrift der Partitur lesen kann. Die Zeichen der Partitur sind ja unendlich mehrdeutig. Hört man Günter Wand eine Bruckner-Sinfonie dirigieren und vergleicht sie mit einer Celibidache-Interpretation, so glaubt man manchmal, es handele sich nicht um das gleiche Stück. Jugendlich, feurig, dramatisch   gespannt fliegt die Zeit bei Wand dahin, wohingegen man bei Celi schon manchmal das Gefühl hatte, dass Amfortas die Zeremonie des Grals zelebriere. Aber das Wunderbare ist doch, dass beide Extreme nebeneinander möglich sind! Was für eine große und geheimnisvolle Sache ist doch die Musik; welcher Reichtum an Farben und Ideen schlummert schon in einer einzigen Partitur   und wie viel Partituren schlummern noch in den Köpfen der Komponisten ...

Am Ende des dritten Tages meines Celi-Video-Rausches geschah etwas ernüchternd Seltsames. Mitten im langsamen Satz der 6. erstarrte Celi plötzlich, mit erhobenem Arm, dem aufschauenden Konzertmeister zugewandt. Der Fernseher streikte, und keine Überredungskünste konnten ihn wieder in Gang bringen. Die von Celi so verabscheute Technik, sie schnitt in einer bösen Parodie dem künstlerischen Ideal der Objektivation eine Fratze.   Der Bann war gebrochen: Ich konnte mich wieder mir selbst zuwenden. Zurück blieb der neu gewonnene Respekt vor einer vollkommenen Meisterschaft, zu dem sich jetzt die Trauer um einen großen Verlust gesellt.

August 1996
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Breitkopf & Härtel.
Eine Veröffentlichung dieses Textes wird erscheinen
In: Hans Zender, Die Sinne denken. Schriften zur Musik,
Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2003

 

loana Celebidachi


loana, die französische Malerin rumänischer Abstammung, lebt und arbeitet in Paris. Sie begann ihre künstlerische Karriere bereits in sehr jungen Jahren, studierte in Rom und Paris und arbeitete in Stuttgart mit den Malern Baumeister und Fridlander zusammen.

Neben der Malerei widmet sie sich auch der Literatur: In ihrer Jugend veröffentlichte sie zwei Gedicht bände, „Geständnis“ und „Erinnerungen“, in französischer Sprache. Nach dem Tod ihres Mannes, des weltberühmten Dirigenten Sergiu Celibidache, verfasste sie das Buch „Sergiu, autrement“, das mit Humor die überraschenden Ereignisse und Wendungen ihres gemeinsamen Lebens nachzeichnet.

Ioana nimmt an vielfältigsten Kunstveranstaltungen teil und gewann neben vielen anderen Auszeichnungen die „Médaille d'Or des Arts, Sciences et Lettres“ im Jahre 2001. Ihre Werke, die sie in den USA, Japan und ganz Europa ausstellt, sind in vielen Museen und zahlreichen Privatsammlungen vertreten.

loanas Malerei zeichnet sich durch einen sensiblen und nuancenreichen Umgang mit Farbe und Form aus. Die abstrakten Gemälde sind dynamisch komponiert und schaffen phantasievolle Traumwelten. Virtuose Beherrschung der Technik verbindet sie mit einfühlsamer Farbgebung. Die wohl wichtigste Referenz ihrer Kunst ist Paul Klee, dessen Stil sie in ihrer strukturvollen, farbkräftigen Malerei inspirierte. Im Rahmen einer Reise nach Bern lernte sie Felix Klee, seinen Sohn, kennen. Er war begeistert von der Wesensverwandtschaft von Ioanas Malerei mit der seines Vater und legte ihr noch kurz vor seinem Tode nahe: „Bleiben Sie sich treu!“

In September 2011 wurde Iona Celebidachi mit den französischen "Ordre des Arts et des Lettres" für Ihr künstlerisches Gesamtwerk geehrt. Die Zeremonie fand in München unter Teilnahme von Oberbürgermeister Christan Ude statt.

Die Witwe des Dirigenten Sergiu Celibidache ist Freitag den 13. Januar in Paris nach schwerer Krankheit gestorben.